Das Patriarchat ist eine Anomalie in der Menschheitsgeschichte

»Das Patriarchat ist eine Anomalie in der Menschheits­ge­schichte«

SPIEGEL-Gespräch mit Carel van Schaik

 

Eva und Adam waren gleich, erst Sesshaftigkeit und Besitz versklavten im Laufe der Jahrtausende die Frau. Der Anthropologe Carel van Schaik erklärt, warum bald Schluss ist mit der Herrschaft der Männer.

 

Van Scha­ik, 67, be­gann sei­ne Bio­lo­gen­kar­rie­re als Bo­ta­ni­ker. Doch dann ver­lieb­te er sich in eine Pri­ma­to­lo­gin, Ma­ria van Noord­wi­jk; er ging mit ihr nach In­do­ne­si­en, sie hei­ra­te­ten und er­forsch­ten Orang-Utans. Be­son­ders fas­zi­niert den An­thro­po­lo­gen das äf­fi­sche Erbe, das den Homo sa­pi­ens bis heu­te prägt. Zu­letzt lei­te­te der Nie­der­län­der das An­thro­po­lo­gi­sche In­sti­tut und Mu­se­um der Uni­ver­si­tät Zü­rich. Ge­mein­sam mit dem His­to­ri­ker Kai Mi­chel hat er nun ein Buch ver­fasst, das die Ur­sprün­ge und die Zu­kunft des Pa­tri­ar­chats aus­lo­tet(**).

 

SPIEGEL: Herr Pro­fes­sor van Scha­ik, An­ge­la Mer­kel und ei­ni­ge we­ni­ge Kol­le­gin­nen an der Spit­ze mäch­ti­ger Re­gie­run­gen schie­nen lan­ge ein­sa­me Aus­nah­men zu sein. Zieht in Ge­stalt der de­si­gnier­ten US-Vi­ze­prä­si­den­tin Ka­ma­la Har­ris nun die Pa­tri­ar­chats­däm­me­rung her­auf?

 

Van Scha­ik: Im­mer­hin hieß es nach der US-Wahl vor vier Jah­ren, dass Trump nur ge­won­nen habe, weil vie­le Men­schen – vor al­lem Män­ner – es nicht über sich hat­ten brin­gen kön­nen, für eine Frau, Hil­la­ry Clin­ton, zu stim­men. Es wäre also ein in­ter­es­san­tes Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment, sich vor­zu­stel­len, ob die um­ge­kehr­te Va­ri­an­te, Har­ris mit ei­nem Vi­ze­prä­si­den­ten Bi­den, auch er­folg­reich ge­we­sen wäre.

 

SPIEGEL: Was ist denn mit den gro­ßen Herr­sche­rin­nen des Al­ter­tums, der frü­hen Neu­zeit, von der Pha­rao­nin Hat­schep­sut bis zu Eli­sa­beth I. – hat­ten die es leich­ter?

 

Van Scha­ik: Die ha­ben nichts mit den heu­ti­gen Top-Frau­en zu tun. Mer­kel oder Har­ris ver­dan­ken ih­ren Auf­stieg ei­ge­ner Leis­tung, die we­ni­gen Herr­sche­rin­nen in der Ge­schich­te ha­ben es nur über ei­nen mäch­ti­gen Va­ter oder Ehe­mann an die Spit­ze ge­schafft. Mer­kel und Co. – das ist ein völ­lig neu­es Phä­no­men.

 

SPIEGEL: Die Wis­sen­schaft hat sich über die Jahr­hun­der­te viel Mühe ge­ge­ben zu be­wei­sen, dass Frau­en aus bio­lo­gi­schen Grün­den dem Man­ne un­ter­le­gen sei­en. Selbst Charles Dar­win ließ sich dar­über aus, dass die Evo­lu­ti­on der Frau an ir­gend­ei­nem Punkt ste­hen ge­blie­ben sei ...

 

Van Scha­ik: (seufzt) Mein Idol, ich weiß, er war Teil die­ser Her­ab­wür­di­gung. Eben­so Sig­mund Freud, spä­ter wei­te­re emi­nen­te Bio­lo­gen, und wahr­schein­lich fin­det man heu­te noch den ein oder an­de­ren, der sol­chen Un­sinn ver­zapft.

 

SPIEGEL: Sie prä­sen­tie­ren uns jetzt »Die Wahr­heit über Eva«, eine Na­tur- und Kul­tur­ge­schich­te des Pa­tri­ar­chats, die Sie zu­sam­men mit ei­nem männ­li­chen Co-Au­tor ge­schrie­ben ha­ben. Ist Ihr Blick auf den weib­li­chen Homo sa­pi­ens frei von Vor­ur­tei­len?

 

Van Scha­ik: Das schafft na­tür­lich nie­mand wirk­lich! Aber das Gute an der Wis­sen­schaft ist ja, dass man sei­ne Er­geb­nis­se zur Dis­kus­si­on stellt, sie kön­nen wi­der­legt wer­den. Oh­ne­hin ist es ein Buch über das Ver­hält­nis der Ge­schlech­ter, also geht es ge­nau­so um Män­ner. Es ist ge­wis­ser­ma­ßen eine an­de­re Mensch­heits­ge­schich­te.

 

SPIEGEL: Der In­tel­lek­tu­el­le Yu­val Noah Ha­ra­ri spe­ku­liert, dass »über­le­ge­ne So­zi­al­kom­pe­tenz und grö­ße­re Ko­ope­ra­ti­ons­be­reit­schaft« den Mann zur Er­folgs­sto­ry ge­macht ha­ben. Ver­ste­hen Sie, dass vie­le Frau­en da mit den Au­gen rol­len?

 

Van Scha­ik: Wir doch auch! Bei­de Ge­schlech­ter sind ex­trem ko­ope­ra­tiv, das zeich­net uns als Men­schen ge­ra­de aus. Trotz­dem, bloß weil ein The­ma uns ir­gend­wie un­an­ge­nehm ist, kön­nen wir doch nicht die For­schung dazu ein­stel­len. Die Al­ter­na­ti­ve zu schlech­ter Wis­sen­schaft ist bes­se­re Wis­sen­schaft und nicht: kei­ne Wis­sen­schaft.

 

SPIEGEL: Nein, aber viel­leicht soll­ten wir un­ter­schei­den zwi­schen wil­den Theo­ri­en und gut be­leg­ten Fak­ten?

 

Van Scha­ik: Selbst­ver­ständ­lich, aber das ist manch­mal leich­ter ge­sagt als ge­tan, denn wir alle lie­ben ein­fa­che Er­klä­run­gen. Wir mö­gen es mo­no­k­au­sal und bi­när. Und na­tür­lich gibt es bio­lo­gisch ver­an­ker­te Ei­gen­schaf­ten, die bei den bei­den Ge­schlech­tern un­ter­schied­lich aus­ge­prägt sind. Im Durch­schnitt, wohl­ge­merkt.

 

SPIEGEL: Aber ...

 

Van Scha­ik: ... Ich weiß schon, wenn man ein­mal fest­ge­stellt hat, dass es sol­che Un­ter­schie­de gibt, drän­gen sich so­fort ganz vie­le Aber auf, al­len vor­an die Fra­ge: Kann die Bio­lo­gie uns vor­schrei­ben, wie wir zu le­ben ha­ben? Die Ant­wort ist ein­fach: nein.

 

SPIEGEL: Die bio­lo­gi­sche Ver­fasst­heit von Frau und Mann ist aber auch im­mer po­li­tisch, wenn etwa eine AfD-Po­li­ti­ke­rin sagt, Frau­en sei­en die »Hü­te­rin­nen des Feu­ers« und man kön­ne »un­se­re Bio­lo­gie nicht ein­fach ab­leh­nen«. Da wird die Stein­zeit­frau re­tro­spek­tiv an die Koch­stel­le ver­bannt, weil man be­grün­den will, dass ihre Nach­fah­rin­nen heu­te noch zu Recht dort an­zu­tref­fen sei­en.

 

Van Scha­ik: Sie mei­nen Ide­en wie die, dass Stein­zeit-Ma­chos ihre Frau­en an den Haa­ren in die Höh­le schlep­pen? Es ist ku­ri­os, wie lang­le­big sol­che Bil­der sind. Das Pro­blem ist, dass sie letzt­lich über Ge­schichts­bü­cher ver­mit­telt wur­den. Und die ha­ben, weil Schrift un­ter pa­tri­ar­cha­len Um­stän­den ent­stan­den ist, die längs­te Zeit nur Män­ner ge­schrie­ben. Mei­ne Per­spek­ti­ve als An­thro­po­lo­ge ist eine an­de­re. Da nimmt die­se Pha­se, in der Frau­en un­ter­drückt wer­den, nur ein bis zwei Pro­zent der ge­sam­ten Ent­wick­lung des Homo sa­pi­ens ein. Das Pa­tri­ar­chat ist eine Ano­ma­lie in der Mensch­heits­ge­schich­te.

 

SPIEGEL: Ach ja?

 

Van Scha­ik: Hät­ten wir un­ser Buch vor 10 000 Jah­ren ge­schrie­ben, wäre es wahr­schein­lich um die ar­men Män­ner ge­gan­gen, die nichts mehr zu tun hat­ten. Das war zu der Zeit, als die Men­schen be­gan­nen, ein­fa­che Land­wirt­schaft zu be­trei­ben. Da­mals ent­stan­den ma­tri­li­nea­re Hack­bau­kul­tu­ren. Die Frau­en be­ar­bei­te­ten das Land in Ge­mein­be­sitz und hat­ten so­mit gro­ßen so­zia­len Ein­fluss – und die Män­ner nichts mehr zu ja­gen. Das Wild um die­se klei­nen Wei­ler her­um war frü­her oder spä­ter aus­ge­rot­tet. Wahr­schein­lich hock­ten die Ker­le her­um und trau­er­ten um ihre glor­rei­che Ver­gan­gen­heit als Jä­ger.

 

SPIEGEL: Noch ei­nen Schritt zu­rück, bit­te. Vor die­ser Zeit, bei den Jä­gern und Samm­lern, gab es ihn, den speer­be­wehr­ten Mam­mut­jä­ger mit der Frau, die da­heim die Fel­le schabt?

 

Van Scha­ik: Nein, das ist und bleibt ein Zerr­bild. Es stimmt, Groß­wild wur­de haupt­säch­lich von Män­nern er­legt. Frau­en wa­ren aber ge­nau­so un­ter­wegs und ha­ben er­heb­lich zur Ver­sor­gung bei­ge­tra­gen, wenn auch eher mit Knol­len, Früch­ten und Klein­wild.

 

SPIEGEL: Kürz­lich ha­ben Ar­chäo­lo­gen ver­mel­det, dass sie in den An­den in ei­nem 9000 Jah­re al­ten Grab eine Groß­wild­jä­ge­rin ge­fun­den ha­ben. Ändert das Ih­ren Blick?

Van Scha­ik: Nein, weil es ja im­mer noch ins Bild passt. Nie­mand sagt doch, dass es Frau­en nicht mög­lich war zu ja­gen! Was wir Wis­sen­schaft­ler be­schrei­ben, ist ein gan­zes Spek­trum an Ko­ope­ra­ti­on; nur über de­ren Ex­tre­me – den hel­den­haf­ten Mam­mut­kil­ler, die vor­sich­ti­ge Bee­ren­samm­le­rin – zu spre­chen, führt zu die­sen Kli­schees. Da­zwi­schen lie­gen jede Men­ge Tä­tig­kei­ten, die in Jä­ger-Samm­ler-Ge­mein­schaf­ten von bei­den Ge­schlech­tern er­le­digt wur­den. Das Er­folgs­ge­heim­nis des Men­schen liegt in sei­ner ein­zig­ar­ti­gen Fä­hig­keit zum Team­work.

 

SPIEGEL: Jen­seits der Groß­wild­jagd wur­de klei­ne­re Beu­te in Net­ze ge­hetzt – auch dies war Team­work bei­der Ge­schlech­ter.

 

Van Scha­ik: Ge­nau das ist doch in­ter­es­sant. Es wa­ren die öko­lo­gi­schen Be­din­gun­gen vor Ort, die den Aus­schlag da­für ga­ben, wie zu­sam­men­ge­ar­bei­tet, wie ge­lebt wur­de. Und die­se Jä­ge­rin aus den An­den zeigt, wie fle­xi­bel die­se Sys­te­me sind. Es gibt kei­ne na­tür­li­che Be­stim­mung, die über un­se­re Art zu le­ben ent­schei­det. Wir sind nicht ge­fan­gen in der Bio­lo­gie! Oft ist die Kul­tur viel ein­engen­der.

SPIEGEL: Was ist mit Kör­per­grö­ße und Mus­kel­kraft? Auch wer­fen kön­nen Män­ner bes­ser. Was sa­gen die­se Ge­schlechts­un­ter­schie­de über die Do­mi­nanz des Man­nes?

 

Van Scha­ik: Eher we­nig. Dazu muss man sich nur bei un­se­rer tie­ri­schen Ver­wandt­schaft um­schau­en. Da gibt es Ar­ten, Bo­no­bos bei­spiels­wei­se, die in Grup­pen le­ben wie wir. Die Männ­chen sind deut­lich grö­ßer als die Weib­chen – aber die Weib­chen do­mi­nie­ren trotz­dem die Ge­mein­schaft. Sie ha­ben näm­lich ei­nen ver­steck­ten Ei­sprung, üb­ri­gens wie bei uns Men­schen. Die Männ­chen wis­sen also nicht, wann sie je­weils emp­fäng­lich sind. Das Männ­chen ist, wenn es den rich­ti­gen Mo­ment zur Be­gat­tung nicht ver­pas­sen will, an­ge­wie­sen auf ein ge­wis­ses Ent­ge­gen­kom­men des Weib­chens – und auf des­sen Vor­lie­ben. Und wenn da ein Männ­chen zu frech wird, tun sich die Weib­chen zu­sam­men und ver­prü­geln den Übel­tä­ter. Es kann so­gar sein, dass un­se­re Vor­fah­ren so ähn­lich ge­tickt ha­ben. Das se­hen wir in der Eth­no­lo­gie auch bei noch exis­tie­ren­den Jä­ger-und-Samm­ler-Ge­sell­schaf­ten. Da kön­nen die Män­ner die Frau­en nicht ein­fach do­mi­nie­ren. Und schon gar nicht mit Ge­walt, das er­lau­ben die­se Grup­pen nicht.

 

SPIEGEL: Min­des­tens das Küm­mern um die Kin­der habe die Na­tur der Frau auf­ge­tra­gen, sa­gen Bio­lo­gis­ten; und tat­säch­lich in­ter­es­sie­ren sich klei­ne Mäd­chen eher für Pup­pen, Jungs für Bag­ger. Wie er­klä­ren Sie das?

 

Van Scha­ik: Wenn wir jetzt über Bo­no­bos oder Orang-Utans re­den wür­den, wür­de ich zu­stim­men. Aber das ist bei uns Men­schen ganz an­ders. Wir be­trei­ben »Co­ope­ra­ti­ve Bree­ding«, die ge­mein­schaft­li­che Jun­genauf­zucht. Hier ha­ben Sie es wie­der, das Er­folgs­re­zept des Homo sa­pi­ens: Team­work. Nicht um­sonst gibt es bei uns Groß­müt­ter, also Frau­en, die sich nicht mehr selbst fort­pflan­zen; das ist eine gro­ße Sel­ten­heit im Tier­reich und evo­lu­tio­när nicht ein­fach zu ver­ste­hen. Es ist gut be­legt, dass die­se äl­te­ren Frau­en sich in der Re­gel in­ten­siv um die En­kel küm­mern.

 

SPIEGEL: Und die Vä­ter sind raus?

Van Scha­ik: Nein. Auch Män­ner wa­ren im­mer bei der Er­näh­rung und Er­zie­hung der Kin­der da­bei; sie sind bio­lo­gisch dazu ver­an­lagt. Bei­spiels­wei­se re­agie­ren sie mit hor­mo­nel­len Ver­än­de­run­gen, so­bald ein Kind ge­bo­ren wird. Das ken­ne ich üb­ri­gens von mir selbst. Ich habe jetzt eine klei­ne En­ke­lin, und ich bin ... wie sagt man auf Deutsch?

 

SPIEGEL: Völ­lig ver­narrt in das Kind?

Van Scha­ik: Ge­nau! Aber noch mal ob­jek­ti­ver: Es gibt sehr gute Er­kennt­nis­se über Jä­ger-und-Samm­ler-Ge­sell­schaf­ten und über ma­tri­li­nea­re Hack­bau­ge­sell­schaf­ten. Da kann man se­hen, dass alle in der Com­mu­ni­ty be­tei­ligt sind. Der Spruch ist ein biss­chen über­stra­pa­ziert, aber er stimmt: Es braucht ein gan­zes Dorf, um ein Kind groß­zu­zie­hen. Die Mut­ter ist am An­fang viel­leicht die Hälf­te der Zeit in di­rek­tem Kon­takt mit dem Kind. Aber die an­de­re Hälf­te oder so­gar mehr steu­ern an­de­re bei.

 

SPIEGEL: Das ist heu­te eher nicht mehr so.

Van Scha­ik: Weil wir die­ses Sys­tem spä­tes­tens mit der In­dus­tria­li­sie­rung ka­putt ge­macht ha­ben. Wir ha­ben die Groß­fa­mi­lie zer­stört und das Prin­zip der Neo­lo­ka­li­tät er­fun­den: dass alle ir­gend­wo an­ders woh­nen, nur nicht an dem Ort, an dem sie auf­ge­wach­sen sind. Wenn dann der Mann zur Ar­beit geht, wie sich das bei uns his­to­risch ent­wi­ckelt hat, muss plötz­lich die Mut­ter ohne jeg­li­che Hil­fe mit den Kin­dern zu Hau­se blei­ben. Aber die­se spe­zi­el­le Ar­beits­tei­lung ist we­der gott- noch na­tur­ge­ge­ben, auch wenn Re­li­gi­on und Wis­sen­schaft all­zu lan­ge Frau­en auf Mut­ter­schaft re­du­ziert ha­ben.

 

SPIEGEL: Den Mut­ter­in­stinkt gebe es gar nicht und wenn, sei er nicht an­ge­bo­ren, schrieb die be­rühm­te Evo­lu­ti­ons­bio­lo­gin Sa­rah Blaf­fer Hrdy. Se­hen Sie das auch so?

Van Scha­ik: Na­tür­lich. Wir be­ob­ach­ten das hier in Zü­rich bei un­se­ren klei­nen Kral­len­af­fen, die, wie wir, ihre Jun­gen ge­mein­sam auf­zie­hen. Wenn ih­nen nie­mand hilft, küm­mern sich die Müt­ter nicht län­ger um die Jung­tie­re, sie las­sen sie ster­ben oder fres­sen sie so­gar. Bei uns Men­schen zei­gen Ba­by­klap­pen, dass sich Müt­ter von ih­ren Kin­dern tren­nen kön­nen, wenn sie glau­ben, nicht ge­nü­gend Hil­fe zu ha­ben.

SPIEGEL: Noch ein Ste­reo­typ: Tes­to­ste­ron. Ist es die­ses Hor­mon, das Män­ner zu Män­nern macht?

 

Van Scha­ik: Durch­aus. Aber ich war­ne vor Ver­ein­fa­chun­gen. Klar, die­ses Hor­mon geht hoch in Kon­flik­ten, ins­be­son­de­re wenn ei­ner ge­winnt.

 

SPIEGEL: Bei Män­nern und Frau­en.

Van Scha­ik: Ja, das Hor­mon hat Ef­fek­te, aber es gibt gleich­zei­tig vie­le an­de­re Ein­flüs­se.

 

SPIEGEL: Sel­ten hei­ra­tet die Chef­ärz­tin den Kran­ken­pfle­ger, Män­ner ha­ben um­ge­kehrt kein Pro­blem mit ei­ner Part­ne­rin mit Job wei­ter un­ten auf der Kar­rie­re­lei­ter. Füh­ren Sie das auch auf al­tes Erbe zu­rück? Das Weib be­gehrt den bes­ten Jä­ger, der or­dent­lich Mam­mut­fleisch mit nach Hau­se bringt?

Van Scha­ik: Es mag sein, dass sol­che al­ten Prä­fe­ren­zen im­mer noch in den Köp­fen her­um­geis­tern. Wenn ich eine Frau wäre und in ei­ner Ma­cho­ge­sell­schaft leb­te, wür­de ich ei­nen star­ken Be­schüt­zer prä­fe­rie­ren. Wenn ich aber heu­te leb­te, sa­gen wir, als Ar­chi­tek­tin in Zü­rich, in ei­ner Ge­sell­schaft mit Recht und Ge­setz, ist das nicht mehr wich­tig. Ent­spre­chend ver­än­der­bar sind die Part­ner­prä­fe­ren­zen.

SPIEGEL: Die Zür­cher Ar­chi­tek­tin hat kein Pro­blem, sich mit ei­nem Tisch­ler zu­sam­men­zu­tun?

 

Van Scha­ik: Wenn er ta­len­tiert ist ...

 

SPIEGEL: Bei Jä­gern und Samm­lern wie den Ca­ne­la im Nord­os­ten Bra­si­li­ens war es com­me il faut, dass eine Frau mit meh­re­ren Män­nern schläft, die dann auch alle als Vä­ter des neun Mo­na­te da­nach ge­bo­re­nen Kin­des gel­ten. Wie pro­misk sind Frau­en wirk­lich?

 

Van Scha­ik: Ja, das war aus Sicht der Mut­ter ein sehr ver­ant­wor­tungs­vol­les Ver­hal­ten, weil die­se ge­teil­te Va­ter­schaft dazu bei­trug, dass In­fan­ti­zi­de ver­hin­dert wur­den – alle Vä­ter, auch die nur schein­ba­ren, sind gut zum Kind. An­sons­ten ist es sehr schwer zu sa­gen, wie mo­no­gam wir als Spe­zi­es sind. Wir ma­chen ja et­was, das die meis­ten an­de­ren mo­no­ga­men Ar­ten nicht tun: Wir paa­ren uns un­ab­läs­sig. Fast wie die Bo­no­bos. Und in un­se­rer ur­zeit­li­chen Ver­gan­gen­heit wa­ren wir wahr­schein­lich sehr pro­misk – heu­te sind wir es kaum noch, in den meis­ten Tei­len der Ge­sell­schaft je­den­falls.

 

SPIEGEL: Die Bio­lo­gie ist also nicht schuld am Pa­tri­ar­chat?

 

Van Scha­ik: Wenn sie es wäre, hät­te es das Pa­tri­ar­chat ja im­mer schon ge­ge­ben. Wir sind eben, an­ders als un­se­re äf­fi­schen Ver­wand­ten, durch und durch kul­tu­rel­le We­sen, die eine kul­tu­rel­le Evo­lu­ti­on durch­lau­fen ha­ben, die über die Jahr­hun­dert­tau­sen­de viel wich­ti­ger ge­wor­den ist als die bio­lo­gi­sche Evo­lu­ti­on. Die Kul­tur ist un­se­re er­folg­reichs­te An­pas­sung an eine sich stän­dig ver­än­dern­de Um­welt.

 

SPIEGEL: Aber wenn alle so wun­der­bar ega­li­tär zu­sam­men­ge­ar­bei­tet ha­ben bei den Jä­gern und Samm­lern und noch bei den ers­ten Aus­flü­gen des Men­schen in die Hack­bau­ge­sell­schaf­ten die Frau­en das Sa­gen hat­ten – wie konn­te da das Pa­tri­ar­chat über­haupt pas­sie­ren?

 

Van Scha­ik: Es war si­cher nicht ein­fach eine männ­li­che Ver­schwö­rung! Als der Pro­zess zur im­mer in­ten­si­ve­ren und pro­duk­ti­ve­ren Land­wirt­schaft ein­setz­te, fing das Ver­hält­nis der Ge­schlech­ter an, aus dem Gleich­ge­wicht zu ge­ra­ten.

 

SPIEGEL: Wie schnell ging das von­stat­ten?

Van Scha­ik: Wir se­hen aus der Ar­chäo­lo­gie, dass all­mäh­lich dort, wo die Ern­ten im­mer bes­ser wur­den, Land und Vor­rä­te Be­gehr­lich­kei­ten bei an­de­ren weck­ten. Es ent­stand Be­sitz, den man ver­tei­di­gen muss­te. Und ver­tei­di­gen, Krie­ge füh­ren – das war Män­ner­sa­che.

 

SPIEGEL: Es gab nie weib­li­che Kämp­fer­trupps?

 

Van Scha­ik: Mög­lich, dass hier und da Frau­en mit­ge­macht ha­ben, aber im Schnitt war das Män­ner­sa­che. Doch zu­rück zur Fra­ge, wie­so jetzt die Män­ner an­fin­gen zu do­mi­nie­ren. Da­für ver­ant­wort­lich war die evo­lu­ti­ons­ge­schicht­lich neue Mög­lich­keit, Ei­gen­tum an­zu­häu­fen und zu mo­no­po­li­sie­ren. Und das woll­ten sie ih­ren Söh­nen wei­ter­ge­ben, die den Be­sitz ver­tei­di­gen soll­ten. Die muss­ten dar­um jetzt zu Hau­se blei­ben. Frü­her wa­ren sie es ge­we­sen, die die Ge­mein­schaft ver­lie­ßen, weil es galt, In­zucht zu ver­mei­den. Nun aber muss­ten die Mäd­chen ge­hen. Und an den neu­en Or­ten wa­ren sie die Frem­den, sie hat­ten kei­ne Ver­wand­ten mehr, kei­ne Netz­wer­ke. Und wur­den zu Ba­by­ma­schi­nen, die männ­li­che Er­ben pro­du­zie­ren muss­ten.

 

SPIEGEL: Da war dann aber Schluss mit dem Frust der ar­men ar­beits­lo­sen Jä­ger.

Van Scha­ik: Na ja, die meis­ten Män­ner wa­ren ja selbst Ver­lie­rer die­ser Ent­wick­lung: alle, die nicht zu den Wohl­ha­ben­den, den Pro­fi­teu­ren ge­hör­ten. Und die­se Um­wäl­zung voll­zog sich nicht von heu­te auf mor­gen. Wenn Sie nach Çata­l­höyük schau­en, die­se rie­si­ge, pue­b­lo­ar­ti­ge Sied­lung aus der Jung­stein­zeit in Ana­to­li­en, da hat­ten die Fa­mi­li­en Spei­cher in ih­ren Wohn­häu­sern. Aber of­fen­bar hat­ten sie alle gleich gro­ße Häu­ser und gleich gro­ße Spei­cher und wa­ren gleich gut er­nährt. Also, es hat schon eine Wei­le ge­dau­ert, bis die­se Män­ner die Idee von Pri­vat­be­sitz auch auf Be­rei­che wie Land und Vieh aus­dehn­ten ...

 

SPIEGEL: ... und auf Frau­en.

 

Van Scha­ik: Und bis die Män­ner ka­piert hat­ten, dass sie sich jetzt auf­spie­len dür­fen als Pa­scha, an­statt An­se­hen zu ge­win­nen durch Groß­zü­gig­keit. Ich mei­ne, ein Jä­ger-Samm­ler, der ge­sagt hät­te, er sei jetzt der Chef, wäre aus­ge­lacht wor­den! Es brauch­te meh­re­re Tau­send Jah­re, be­vor so­zia­le Un­gleich­heit des­po­ti­sche Aus­ma­ße an­nahm. Und Frau­en oft zur Han­dels­wa­re wur­den. Oder so­gar ge­raubt wer­den konn­ten.

 

SPIEGEL: Wir sind jetzt auf der Zeit­leis­te ir­gend­wo zwi­schen 3000 oder 4000 Jah­ren vor Chris­tus?

Van Scha­ik: Ja, so un­ge­fähr.

 

SPIEGEL: Und dann ka­men die mo­no­the­is­ti­schen Re­li­gio­nen dazu. War mit der Ur­frau, dem Vor­bild für die bi­bli­sche Eva, noch das glück­li­che Weib ge­meint, das ega­li­tär mit Adam in ei­ner Art prä­his­to­ri­schen Gar­ten Eden Hack­bau be­trieb und in Net­zen Klein­wild fing? Oder war sie schon die un­ter­drück­te Frau?

Van Scha­ik: Das Lus­ti­ge ist ja, dass es zwei Schöp­fungs­be­rich­te gibt. In dem ers­ten sind Eva und Adam noch zeit­gleich und gleich ge­schaf­fen, im zwei­ten ent­steht die Frau aus der Rip­pe des Man­nes – und wird ihm nach dem Sün­den­fall un­ter­tan ge­macht. Im Ernst, das Pro­blem war doch, dass alle Ge­schich­ten für Eva nur un­gut aus­ge­hen konn­ten, nach­dem das Pa­tri­ar­chat schon über Jahr­tau­sen­de ge­fes­tigt war.

 

SPIEGEL: Wie mei­nen Sie das?

Van Scha­ik: Das war eine selbst er­fül­len­de Pro­phe­zei­ung. Wenn man Mäd­chen von Ge­burt an schlech­ter er­nährt und ih­nen kaum Bil­dung zu­teil­wer­den lässt, muss man sich nicht wun­dern, dass sie dann als Er­wach­se­ne ne­ben den Män­nern ver­blas­sen.

 

SPIEGEL: Wie groß schät­zen Sie den Bei­trag, den die Re­li­gi­on dazu ge­leis­tet hat?

Van Scha­ik: Sehr groß. Denn die trich­ter­te al­len Leu­ten von Kin­des­bei­nen an die ul­ti­ma­ti­ve Recht­fer­ti­gung für die Schlech­ter­stel­lung der Frau ein, in­dem sie sie als gott­ge­wollt dar­stell­te. Nun pass­ten die Vor­stel­lun­gen von Ge­schlech­ter­rol­len, ei­ner Ge­sell­schafts­ord­nung so­wie von der an­geb­lich rich­ti­gen Le­bens­wei­se per­fekt zu­ein­an­der und er­gänz­ten sich. Und in­dem die Kir­che spä­ter die­se Tex­te als Wort Got­tes hei­lig­te, wur­de das Pa­tri­ar­chat un­an­tast­bar und über alle Zwei­fel er­ha­ben.

SPIEGEL: Wann ist denn Schluss da­mit?

 

Van Scha­ik: Pfeift das Pa­tri­ar­chat bei uns nicht schon aus dem letz­ten Loch? Mei­ne Toch­ter und mein Sohn ha­ben die Welt be­reits ganz an­ders wahr­ge­nom­men als wir, und mei­ne En­ke­lin wird nicht ein­mal mehr die Mi­so­gy­nie ei­nes Do­nald Trump er­le­ben. Das Zau­ber­wort heißt Bil­dung. In De­mo­kra­ti­en geht es schnel­ler als an­ders­wo, auch dort, wo Men­schen die Au­to­ri­tät pa­tri­ar­chal ge­präg­ter Re­li­gio­nen in Sa­chen Ge­schlech­ter­rol­len nicht mehr an­er­ken­nen.

 

SPIEGEL: Dann wäre auch die Wahl ei­ner Vi­ze­prä­si­den­tin in den USA nicht mehr der Rede wert?

 

Van Scha­ik: (lacht) Ge­nau, und es wür­den mehr Staa­ten von Frau­en ge­lenkt, mehr Frau­en wä­ren an po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen be­tei­ligt. Ich er­war­te, dass das bes­ser sein wird für die Um­welt und das Kli­ma, das so­zia­le Mit­ein­an­der und, ja, auch die Be­kämp­fung von Pan­de­mi­en.

 

SPIEGEL: Herr Pro­fes­sor van Scha­ik, wir dan­ken Ih­nen für die­ses Ge­spräch.

 

** Ca­rel van Scha­ik, Kai Mi­chel: »Die Wahr­heit über Eva – Die Er­fin­dung der Un­gleich­heit von Frau­en und Män­nern«. Ro­wohlt; 704 Sei­ten; 26 Euro.

Das Ge­spräch führ­te die Re­dak­teu­rin Ra­fae­la von Bre­dow.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0