Die große Transformation-Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels Uwe Schneidewind, 2018

1. »Making Utopia possible«  

Eine Einführung in das Buch 

Wird die Welt des Jahres 2050 eine bessere und nachhaltigere sein? Wer und was entscheidet eigentlich, in welche Richtung sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten entwickeln? Werden neue Technologien oder ein massiver kultureller Wandel die Hoffnungen auf eine Zivilisation befeuern, die Menschen gleiche Entwicklungschancen überall auf der Welt ermöglicht – trotz begrenzter ökologischer Ressourcen? Hat angesichts zunehmender ökologischer und sozialer Herausforderungen der Kapitalismus in seiner heutigen Form noch eine Zukunft? Oder wird er gerade zur Lösung der Herausforderungen gebraucht? All das sind Fragen, mit denen sich die Diskussion zur »Großen Transformation« beschäftigt. Eines scheint dabei klar: Das 21. Jahrhundert verspricht ein weiteres Jahrhundert des massiven Umbruchs in der Menschheitsgeschichte zu werden. Oft scheint uns die Zukunft dabei »zu ereilen« – mit technologischen, ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen und ökologischen Dynamiken. 


Ist es möglich, die aktuellen systemischen Dynamiken so zu verstehen, dass sie sich von Akteuren in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in konstruktive Impulse umwandeln lassen? Was sind wissenschaftlich basierte »Erzählungen«, die Orientierung geben für die Gestaltung eines menschengerechten 21. Jahrhunderts? Das vorliegende Buch stellt sich diesen Fragen und baut mit seinem Titel auf zwei prominenten Schlüsselpublikationen der letzten 70 Jahre auf: 


Karl Polanyis »Great Transformation« und der dort gelieferten grandiosen Analyse der Entbettungsmechanismen des modernen Kapitalismus sowie dem Hauptgutachten »Welt im Wandel« des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) aus dem Jahr 2011. Letzteres nutzte den Begriff der »Großen Transformation«, um die Epochenumbrüche des 21. Jahrhunderts im Lichte einer Nachhaltigen Entwicklung zu kennzeichnen, und hat damit die Nachhaltigkeitsdebatte der letzten Jahre sehr beeinflusst. Der Begriff der »Großen Transformation« in der 2011 vom WBGU eingebrachten Form wird damit zur Grundlage für ein identitätsstiftendes transdisziplinäres Narrativ. Es verdichtet ökologische, technologische, ökonomische, sozial- und kulturwissenschaftliche Erkenntnisse zu einem Hoffnung gebenden Gestaltungsprogramm. Es ist eng verbunden mit dem Selbstverständnis des Wuppertal Instituts, das seit seiner Gründung Anfang der 1990er Jahre ökologische, technologische, ökonomische und gesellschaftliche Perspektiven verbindet, um die Utopie einer Nachhaltigen Entwicklung zu ermöglichen. Dieses Buch führt in die Erzählung der »Großen Transformation« ein und stützt sich dabei auf zentrale Konzepte und Theoriebausteine der Debatte sowie die Erfahrungen des Wuppertal Instituts. Mit dem Anspruch, diese unterschiedlichen Aspekte des Nachhaltigkeits- und Transformationsdiskurses aufeinander zu beziehen, wagen wir ein ambitioniertes Unterfangen – ähnlich tollkühn, wie es schon der WBGU 2011 mit seiner Referenz auf Karl Polanyi getan hat. Die Arbeit des Wuppertal Instituts ist aber von der Überzeugung getragen, dass nur systemische Herangehensweisen, die auch einen breiten inter- und transdisziplinären Brückenschlag nicht scheuen, Orientierung in einer komplexer werdenden Wirklichkeit bieten. Dies gilt umso mehr in einer Zeit, in der im Wissenschaftssystem angesichts zunehmender Spezialisierung der Mut zu solchen Entwürfen eher ab- als zunimmt. Daher freuen wir uns, dass Sie sich als Leserin und Leser auf diese Reise einlassen. 


Vor diesem Hintergrund greift das Buch das Konzept der Großen Transformation auf: Die Große Transformation beschreibt einen massiven ökologischen, technologischen, ökonomischen, institutionellen und kulturellen Umbruchprozess zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Dieser Prozess ist keine gesichtslose systemische Dynamik, sondern von Menschen initiiert und geprägt und damit grundsätzlich auch gestaltbar. Den Kompass und die Ansatzpunkte für diese Gestaltung zu verstehen und zu nutzen, bedarf es vieler Akteurinnen und Akteure und einer besonderen (transformativen) »Literacy«, d.h. einer Kompetenz, diese Dimensionen in ihrem Zusammenspiel zu verstehen, und der Kunstfertigkeit, dieses Verständnis in Beiträge zu einer Nachhaltigen Entwicklung umzusetzen. Diese »Zukunftskunst« in ihrer Mehrdimensionalität wird im Zentrum des Buches stehen...