Ralf Fücks: Ökologie und Freiheit


Portrait von Ralf Fücks

Ralf Fücks ist geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter des Zen­trums Libe­rale Moderne.


Die extro­ver­tierte Selbst­ver­wirk­li­chung der Moderne basiert bis heute auf der schein­bar unbe­grenz­ten Ver­füg­bar­keit fos­si­ler Ener­gien. Sie waren der Treib­stoff einer unge­heu­ren Stei­ge­rung von Pro­duk­tion und Konsum. Jetzt, da sich erweist, dass die Ver­bren­nung von Kohle, Öl und Gas das Erd­klima aus den Fugen hebt, gerät auch der Hedo­nis­mus der Moderne unter Kritik. Eine Frei­heit, die auf Kosten des Rests der Mensch­heit aus­ge­lebt wird, wird zum bloßen Ego­is­mus. Sie zer­stört die Frei­heit künf­ti­ger Genera­tio­nen, in einer halb­wegs intak­ten Umwelt zu leben. Statt die Grenzen des Mög­li­chen ständig aus­zu­wei­ten, sollen wir uns jetzt in die pla­ne­ta­ri­schen Belas­tungs­gren­zen fügen.  Das Zeit­al­ter des „höher, schnel­ler, weiter“ ist vorbei. Die neue Ethik der Begren­zung gebie­tet Ent­schleu­ni­gung und Genüg­sam­keit. Sein statt Haben.

Wenn der Appell zum Ver­zicht auf taube Ohren stößt, müssen kol­lek­tive Gebote und Verbote nach­hel­fen. Sie schrän­ken die Frei­heit des Ein­zel­nen ein, um das Leben aller zu schüt­zen. 

Das Gebot der Restrik­tion erscheint mora­lisch unan­greif­bar. Es ist dennoch die falsche Antwort auf Kli­ma­wan­del und Arten­ster­ben. Öko­lo­gisch springt es zu kurz, gesell­schaft­lich mündet es in eine scharfe Pola­ri­sie­rung, poli­tisch führt es auf die schiefe Ebene eines Auto­ri­ta­ris­mus im Namen der Welt­ret­tung.

Die Zukunft: „eine Art von öko­lo­gi­schem Cal­vi­nis­mus“

Der Phi­lo­soph Peter Slo­ter­dijk hat den neuen Kul­tur­kampf bereits vor Jahren präzise vor­aus­ge­se­hen: „Die expres­si­ons- und emis­si­ons­feind­li­che Ethik der Zukunft zielt gera­de­wegs auf die Umkeh­rung der bis­he­ri­gen Zivi­li­sa­ti­ons­rich­tung. (..) Sie fordert Mini­mie­rung, wo bisher Maxi­mie­rung galt, sie ver­ord­net Spar­sam­keit, wo bisher Ver­schwen­dung als höchs­ter Reiz emp­fun­den wurde, sie mahnt die Selbst­be­schrän­kung an, wo bisher die Selbst­frei­set­zung gefei­ert wurde. Denkt man diese Umschwünge zu Ende, so gelangt man im Zuge der meteo­ro­lo­gi­schen Refor­ma­tion zu einer Art von öko­lo­gi­schem Cal­vi­nis­mus.“

Die Erbit­te­rung, mit der um Tem­po­li­mits und Fahr­ver­bote gestrit­ten wird, ist der Vor­schein des neuen Kul­tur­kampfs zwi­schen den Anhän­gern einer mora­lisch auf­ge­la­de­nen Politik der Restrik­tion und jenen, die diese Politik als Angriff auf ihre Lebens­form emp­fin­den. Die einen berufen sich auf Klima- und Gesund­heits­schutz als zwin­gen­des Gebot, die anderen sehen eine Ver­schwö­rung von grünen Auto­geg­nern, die keine Ahnung vom realen Leben haben. Dieser Kon­flikt hat eine soziale Schlag­seite, weil es vor allem die pri­vi­le­gier­ten Kinder der Wohl­stands­ge­sell­schaft sind, die eine „Wende zum Weniger“ pro­pa­gie­ren. Wenn dann her­aus­kommt, dass die Befür­wor­ter von Fahr­ver­bo­ten zur Klasse der Viel­flie­ger gehören, ist das ein gefun­de­nes Fressen für alle Grünen-Hasser und Ver­tei­di­ger des Status quo. Die mora­li­sche Über­hö­hung der Kli­ma­frage frisst ihre Kinder.

Die Anhän­ger einer restrik­ti­ven Umwelt­po­li­tik berufen sich gern auf die Maxime „Mit dem Klima lässt sich nicht ver­han­deln.“ Sie berufen sich auf öko­lo­gi­sche Sach­zwänge, die über der Politik stehen. Der Fahr­plan für den Koh­le­aus­stieg ergibt sich dann nicht aus einem Aus­hand­lungs­pro­zess zwi­schen diver­gie­ren­den öko­lo­gi­schen, wirt­schaft­li­chen und regio­na­len Inter­es­sen, sondern aus schein­bar exakten Tabel­len, wie viel CO2 der deut­sche Strom­sek­tor pro Jahr ein­spa­ren muss, um die Erd­er­wär­mung unter zwei Grad zu halten. Schein­bar exakt, weil jede iso­lierte Betrach­tung ein­zel­ner Sek­to­ren ebenso fiktiv ist wie eine natio­nal begrenzte Sicht­weise. Dabei hilft ein trag­fä­hi­ger Konsens über den Koh­le­aus­stieg dem Kli­ma­schutz mehr als ein for­cier­ter, aber hoch umstrit­te­ner Plan, der mit erheb­li­chen wirt­schaft­li­chen und sozia­len Risiken behaf­tet ist.

Demo­kra­tie als Luxus?

Die Kritik an der Lang­sam­keit der Demo­kra­tie mit ihren ewigen Kom­pro­mis­sen hat eine lange Tra­di­tion. Es ist kein Zufall, dass pro­mi­nente Umwelt­schüt­zer wie der Nor­we­ger Jorgen Randers mit dem chi­ne­si­schen Modell sym­pa­thi­sie­ren. Wenn man Öko­lo­gie in erster Linie als Ein­schrän­kung von Pro­duk­tion und Konsum ver­steht, ist das kon­se­quent. Auto­ri­täre Regimes schei­nen eher in der Lage, die not­wen­di­gen Ver­zichts­leis­tun­gen durch­zu­set­zen. Demo­kra­tie wird zum Luxus, den wir uns ange­sichts schmel­zen­der Eis­berge nicht mehr leisten können; Frei­heit schnurrt auf die Ein­sicht in die öko­lo­gi­sche Not­wen­dig­keit zusam­men.

Wenn die Erd­er­wär­mung außer Kon­trolle gerät und die Meere kippen, wird das große Ver­wer­fun­gen nach sich ziehen, von wirt­schaft­li­chen Ein­brü­chen bis zu welt­wei­ten Wan­de­rungs­be­we­gun­gen. Inso­fern gefähr­det die Umwelt­krise auch die Demo­kra­tie. Wir müssen deshalb alles tun, um die öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­tion der Indus­trie­ge­sell­schaft vor­an­zu­trei­ben, ohne die libe­ra­len Frei­hei­ten preis­zu­ge­ben.

Wer Frei­heit und Öko­lo­gie in Ein­klang bringen will, muss vor allem auf Inno­va­tion setzen und den Wett­be­werb um die besten Lösun­gen fördern. Sicher, auch eine libe­rale Ord­nungs­po­li­tik kommt nicht ohne Grenz­werte und Verbote aus. Aber sie sind nicht der Königs­weg für die Lösung der öko­lo­gi­schen Frage. Ziel­füh­ren­der ist die Ein­be­zie­hung öko­lo­gi­scher Kosten in die Preis­bil­dung. Markt­wirt­schaft funk­tio­niert nur, wenn Preise die öko­lo­gi­sche Wahr­heit sagen. Die Mehr­be­las­tun­gen, die durch Umwelt­steu­ern ent­ste­hen, können durch eine Senkung von Lohn­steu­ern und Sozi­al­ab­ga­ben kom­pen­siert werden.

Es geht um die Ent­kopp­lung von Wohl­stand und Natur­ver­brauch

Damit wir uns recht ver­ste­hen: Es gibt keine Frei­heit ohne Ver­ant­wor­tung für das eigene Handeln. Deshalb ist es gut und richtig, mit Rad oder Bahn zu fahren und keine Pro­dukte zu kaufen, für die Men­schen geschun­den werden oder Tiere leiden. Jedem steht es frei, das »gute Leben« in einem Mehr an freier Zeit und sozia­len Bezie­hun­gen zu suchen – statt in einer Stei­ge­rung von Ein­kom­men und Konsum. Aber ein nüch­ter­ner Blick auf die Größe der öko­lo­gi­schen Her­aus­for­de­rung zeigt, dass sie mit dem Appell zur Genüg­sam­keit nicht zu lösen ist. Ohne eine grüne indus­tri­elle Revo­lu­tion werden wir den Wett­lauf mit dem Kli­ma­wan­del nicht gewin­nen. Er erfor­dert die Umstel­lung auf erneu­er­bare Ener­gien, eine Effi­zi­enz­re­vo­lu­tion im Umgang mit knappen Res­sour­cen und den Über­gang zu einer moder­nen Kreis­lauf­wirt­schaft. Im Kern geht es um die Ent­kopp­lung von Wohl­stands­pro­duk­tion und Natur­ver­brauch. Das ist ambi­tio­niert, aber machbar.

Ange­sichts der Zuspit­zung öko­lo­gi­scher Krisen stehen wir vor drei abseh­ba­ren Optio­nen. Die erste liegt in der Radi­ka­li­sie­rung einer Umkehr­be­we­gung. Sie sucht die Rettung in der frei­wil­li­gen oder erzwun­ge­nen Umpro­gram­mie­rung des Men­schen, in Ver­zicht und Verbot. Ihr Gegen­pol ist ein trot­zi­ges „weiter so“. Slo­ter­dijk nennt das eine „kom­ple­men­täre Welle der Resi­gna­tion, des Defä­tis­mus und des zyni­schen Nach-uns-die-Sint­flut“. Die Wahr­schein­lich­keit, dass sie die Ober­hand gewinnt, ist hoch. Die dritte Mög­lich­keit liegt in einer neuen Syn­these zwi­schen Natur und Technik, einer Ko-Evo­lu­tion zwi­schen Bio­sphäre und tech­ni­scher Zivi­li­sa­tion. Ange­sichts der Belas­tungs­gren­zen des Erd­sys­tems bleiben uns zwei große Quellen des Fort­schritts: Die Ein­strah­lung von Son­nen­en­er­gie auf die Erde und die mensch­li­che Krea­ti­vi­tät. Auf einer Kom­bi­na­tion von beidem muss eine frei­heit­li­che Zivi­li­sa­tion auf­bauen. Wer Öko­lo­gie und Frei­heit gegen­ein­an­der aus­spielt, wird am Ende beides ver­lie­ren.

Dieser Kom­men­tar erschien am 27. Februar unter der Über­schrift „Die Logik der Restrik­tion scheint zwin­gend – und ist doch falsch“ in der Tages­zei­tung „Die Welt“.