Wolfgang Welsch
„Nebenbei ist der geschilderten Formenreihe übrigens auch noch einmal zu entnehmen, dass unser Welterkennen auf ausgesprochen guten Vorbedingungen fußt. Die menschliche Kognition und der menschliche Geist sind nicht etwas völlig Neues, das plötzlich in die Natur hineinkäme und der Natur gegenüber etwas anderes wäre. Sondern Kognition und Geist erwachsen aus der Kontinuität mit der biotischen Welt und der physischen Welt insgesamt. Und gerade weil dies so ist, weil der Geist mit der Welt grundverwandt ist, kann er zu einer Erkenntnis derselben imstande sein.
Neuzeitlich und modern hatte unsere Geistnatur unsere Weltfremdheit begründen und dazu führen sollen, dass wir nicht die Welt erkennen, sondern nur eine menschliche Welt konstruieren können. Hier hingegen, in evolutiver Perspektive, steht es genau umgekehrt: Noch als denkende und erkennende Wesen sind wir nicht Weltfremdlinge, sondern gerade weltgeprägte und weltverbundene Wesen. Die Welt hat unsere Kognition hervorgetrieben. Und sie hat das gemäß dem innersten Organisationsmuster der Welt selbst, dem Muster der Selbstbezüglichkeit getan. Von daher steht zu erwarten, dass die so entstandene und so geprägte Kognition ihre eigenen Vor- und Partnerformen zutreffend zu erfassen vermag. Man kann das auch so formulieren: In der menschlichen Reflexion wendet sich die von Anfang an reflexiv verfasste Natur auf sich selbst zurück. Die Reflexivität des Seins setzt sich bis in unser Denken hinein fort. Daher bezieht sich, wenn wir uns auf die Welt beziehen, eigentlich die Welt auf sich selbst, betreibt ihre Selbsterfassung – in unserem Erkennen erfasst sich die Welt.“
Welsch, Wolfgang. Mensch und Welt: Philosophie in evolutionärer Perspektive (German Edition) (Kindle-Positionen2170-2177). C. H. Beck. Kindle-Version.
Kommentar schreiben