Die ZEIT Nr.2 03.01.2019
Von wegen Auslaufmodell -
Die Nation ist immer noch das beste Getriebe für die Demokratie.
Nur wer in ihr Mehrheiten gewinnt, kann international etwas bewegen.
Von Jens Nordalm
Nation? Wer das Wort aussprechen kann, ohne dass es ihm peinlich ist, muss entweder dumm oder rechts sein-und meist ja dann beides. Oder? Jürgen Kaube hat unlängst in der FAZ
seinen brillanten Hohn gegen eine neue Hinwendung zur Nation gerichtet. Wie zuvor die politischen Sortierungen rechts und links« sind ihm jetzt die neue
»Nationalschwärmerei« ebenso wie ihre Gegenpositionen, »» Kosmopolitismus« und » Globalisierung«, nur dümmliche, unterkomplexe Phrasen.
Klar lässt sich über die Nationalismen in Polen oder Russland gut herziehen. Wie aber, wenn man einmal probeweise im neuen Interesse an der Nation hierzulande eine sehr
politische Hinwendung zu dem sähe, was wir tatsächlich erst einmal national besser hinkriegen müssten? Und wie, wenn man dann darin die Chance auch für einen neuen
Verfassungspatriotismus erkennte? Eine mitsprachebereite Hinwendung zu jenen politischen Räumen, in denen doch noch die Gestaltung der Lebenswelt der allermeisten in diesem Land
verhandelt wid?
Diese neue Hinwendung wäre dann übrigens auch nichts, was nur »rechten« oder » konservativen« Parteien nützte. Es gibt ja nicht wenige, die durchaus wohlgesinnt der SPD raten,
endlich einen großen Teil ihrer natürlichen Wählerschaft wieder dort abzuholen, wo man ganz schlicht vor Ort die Lebensbedingungen der normalen Leute in gebeutelten Gegenden
und schwierigen Vierteln zu verbessern habe. Und bei aller Komplexität und Verschiedenheit der französischen Situation scheint das auch dort die Richtung, in die man gehen müsste, um die
Bürger im Konsens demokratisch repräsentativer Politik zu halten oder sie in diesen Konsens zurückzuholen.
Nation gilt für die deutsche Geschichte noch immer als das, wofür man auf Freiheit verzichten
musste. Die »Unterwerfung« der deutschen Liberalen unter Bismarck in den 1860er-Jahren
und ihr » Einschwenken« auf Einheit vor Freiheit: Das gilt nach wie vor als die schwierige Geschichte des deutschen Liberalismus, und manche, die die Liberalen noch nie mochten,
sehen auch die heutige FDP wieder auf »nationalen Abwegen.
Aber heute ist Nation längst das, in dessen Grenzen Freiheit und Demokratie allein eine Zukunft haben. Heute heißt Nation Demokratie. Und noch immer heißt Demokratie vor allem
Nation.
Um das eigene Land auf einem guten Weg zu halten, sind erst einmal Selbstverständigung und nationale Politik gefragt. Und der Nationalstaat ist nach wie vor die politische Einheit,
in der
am ehesten eine lebendige Demokratie funktioniert,
der sich die Bürger zugehörig fühlen.
Längst auch verstehen wir unter Nationen das, was Ernest Renan 1882 unter ihr verstand: keine Abstammungsgemeinschaft, sondern ein tägliches Plebiszit. Wenn es denn eines ist. Wenn es denn, sagen
wir weniger streng, wöchentlich zu einer Bejahung kommt: zur Nation gehört, wer es will. Wer an der nationalen Selbstverständigung Gemeinschaft über die gemeinsame Sache teilnehmen will. Eben wer
Bürger sein will.
Auch wenn die altbundesrepublikanische postnationale Gewöhnung die Nation noch immer nur als bornierte Abschottung kennt: Nation ist nicht notwendig abgeschlossen eifersüchtige Angstaggression, sondern kann immer neu Entstehungsraum für vernünftige Entscheidungen sein, aus denen dann auch übernational etwas folgt. Verantwortung funktioniert national-oder sie funktioniert im Staatenverbund erst recht nicht. Es ist längst ein Gemeinplatz, wenn nicht seinerseits eine Phrase, das >Herausforderungen wie der Klimawandel von keiner Nation allein…< und so weiter. In Wahrheit ist aber doch auch dies ein Argument für die Nation. Es heißt, dass etwa Regenwald-Aufforstungen in einer Größenordnung von neun Milliarden Dollar anteilige Kosten für Deutschland jährlich und über 20 Jahre mehr als die Hälfte des Klimagase Problems lösen würden. Und man kennt dann die bittere Frage von Klima bewegten, warum das nicht geschehe...
Es geschieht eben auch deshalb nicht, weil die Nation nicht insgesamt davon bewegt ist, das zu machen und zu schaffen. Man müsste zuerst die Nation überzeugen, dass die beträchtlichen Summen gut eingesetzt wären. Und man kann sich die Rede vorstellen, die das schafft. Eine an die Nation gerichtete Rede, die von Vernunft und Verantwortung, von großer Anstrengung, von möglicher Rettung handelt. Man muss sich nationale Mandate erarbeiten, damit übernationale Verantwortungsleistungen gelingen.
Universalismus wird in der Welt, wie sie ist, schnell paternalistisch-technokratisch. Selbstbestimmung, Autonomie, ist in der Welt, wie sie ist, partikularistisch - geschieht und beginnt in Teilen für Teile. Dieses aufbauende Verhältnis von nationaler und übernationaler Verantwortung gilt auch für das Verhältnis von Nation und Europa. So richtig es ist, dass heute jedes europäische Land allein zu klein ist, um in der Welt relevant zu bleiben, so richtig ist doch auch, dass jedes Land sich erst einmal selbst in guter Verfassung halten muss.
Andere europäische Nationen mit eigenen Prägungen haben wir doch zuletzt näher kennengelernt. Ohne dass man deshalb Gegner der Währungsunion sein oder werden müsste, dürfte in den vergangenen Jahren deutlicher geworden sein: Volkswirtschaften sind aus nationalhistorischen Gründen in dem Zustand, in dem sie sind. Und in einen anderen Zustand zu bringen sind sie auch nur dann, wenn nationaldemokratisch die entsprechenden Anstrengungen und Wege legitimiert und gewollt sind.
Überlebt hat das Wort ››Nation« einigermaßen unschuldig überhaupt nur in genau diesem Zusammenhang - in der Wendung von der »nationalen Kraftanstrengung«. Und solche Anstrengungen sind doch auch bei uns nötig. Nur in einer nationalen Kraftanstrengung können wir Bildung und Erziehung verbessern und auf die Höhe der zweifellos gestiegenen Integrationsaufgaben bringen - Integration von schon länger hier Lebenden genauso wie Integration von neu zu uns Gekommenen, die bleiben wollen. Nur in einer nationalen Kraftanstrengung werden wir in fortdauerndem sozialem Frieden die Verteilungsfragen beantworten können, die sich mit der Alterung der Gesellschaft zunehmend stellen.
Die politischen Aufgaben beginnen vor Ort. Schulen sind hier. Der öffentliche Raum ist hier. Hier müssen wir beides besser machen. Migranten und Flüchtlinge leben nicht »in Europa«, sie leben an konkreten Orten, und die Bedingungen, unter welchen sie das tun, müssen national ausgehandelt sein. Insofern bleibt undeutlich, warum der Soziologe Harald Welzer die Demokratie in Gefahr sah, weil heute strittiger über die Bedingungen von von Einwanderung und Aufenthalt diskutiert wird. Es ist kein Wunder, möchte man sagen.
Noch einmal: Es geht um die Nation nicht als das nach außen Monumentale, Blockhaft-Eine, sondern als das nach innen Plurale, wo man in vernünftigen Debatten zu Entscheidungen kommt, denen gegenüber die Nationalstaatsbürger jene friedensbereite Selbstrelativierung an den Tag legen, die die repräsentative Demokratie braucht, um nicht in einer Flut von Rechthaberei und Selbstgerechtigkeit unterzugehen. Thomas Schmid hat zuletzt in der Welt den Spielverderber gegeben und gefunden, die Zeit von Agora, Forum, Polis, Bürger-Selbsverständigung und Selbstbestimmung in überschaubaren Räumen sei nun mal vorbei. Soziologisch-strukturell mag das stimmen. Aber politisch-idealistisch stimmt es nicht. Man braucht diesen Gedanken, man braucht diese Fiktion der menschlich fassbaren Räume des demokratischen Gesprächs, man braucht den Wunsch, dass es immer wieder gelingen möge, Demokratie so nah zu organisieren, mindestens sie gemeinsam so zu verstehen und zu empfinden. Und die Nation bleibt der größte noch realistisch denkbare Rahmen, in dem diese Selbstverständigung und Selbstbestimmung gelingen können.
Dass der Wunsch nach Selbstbestimmung gerade im engen Zusammenhang mit jenen zwei Fragen wieder stärker wird, die einer linken Mitte in diesem Land so besonders am Herzen liegen: Migration und Globalisierung, mag der Grund für die verbreitete Alarmiertheit dieser linken Mittesein. Aber dieser Zusammenhang beweist noch nicht die Gefährlichkeit der nationalen Selbstbestimmungswünsche.
Man bezeichne, wenn einem die Demokratie lieb ist, das nationale Selbstbestimmungspathos nicht besserwisserisch als hohl mit dem soziologischen Argument heutiger grenzüberschreitender Verflechtungen und dergleichen. Denn ohne jene staatsbürgerliche Ambition wird die Demokratie keine Zukunft haben.
Jens Nordalm ist Historiker, Philosoph und Redenschreiber. Nach Stationen im Bundespräsidialamt und im Finanzministerium arbeitet er heute im Gesundheitsministerium.
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